Brandon Bryant: „Ich bin nur der Bote“

Brandon Bryant (Quelle: Brandon Bryant; VDW)
Brandon Bryant (Quelle: Brandon Bryant; VDW)

Cargohose, offenes Cargohemd über dem T-Shirt, Schuhe mit tiefem Profil, schwarze Kappe auf dem kahlgeschorenen Kopf, der rechte Arm tätowiert bis zu den Fingerspitzen. Es ist leicht zu erraten: Hier sitzt ein Soldat. So fühlt er sich auch tief in seinem Herzen. Ein einfacher Soldat in einfacher Kleidung, in der es sich gut bewegen lässt. Brandon Bryant ist 29 Jahre alt und bereits Ex-Soldat, ein Kriegsveteran, so sieht er sich. Er hat hart gearbeitet, sich an Befehle gehalten und wurde ehrenhaft und auf eigenen Wunsch aus dem Dienst entlassen. Die Entlassungsurkunde war für ihn ein Schock, auch wenn das, was er darauf las, der Grund war, warum er gekündigt hatte: Laut dem Dokument hatte seine Einheit 1626 Menschen im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Somalia und im Jemen getötet. Er wusste, was er tat. Die Zahl der Opfer, seiner Opfer, entsetzte ihn dennoch.

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Fünf Jahre lang verfolgt er im Dienst der US-Armee Menschen durch die Kameralinse einer Drohne, seit 2009 aus einem Container in einer Luftwaffenbasis in New Mexico heraus. Nebenbei stopft er sich mit Fast Food voll. Mit jedem Tag glaubt er weniger daran, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber er hat beim Eintritt in die Armee einen Eid geleistet. Und er hat die Worte seines Großvaters im Ohr: „Das einzige, was ein Mann an Wert hat, ist sein eigenes Wort.“ Er stellt Fragen zu den Einsätzen, wer wird da verfolgt, warum, ist es richtig, das zu tun? Kollegen fragen sarkastisch, ob er den Philosophen spielen wolle. Vorgesetzte sagen ihm, er solle den Mund halten und seine Arbeit machen. Seine Zweifel fressen ihn von innen auf, er kann nicht mehr schlafen, seine Gedanken kreisen wie verrückt. Jahre später sucht er nach Worten, um den Zustand zu beschreiben. „Mein Kopf fühlte sich an wie ein Zug, der außer Kontrolle geraten war.“ Irgendwann spuckt er Blut und wird für mehrere Monate krank geschrieben. Dann geht er wieder zurück in den Container und macht Dienst nach Vorschrift, bis etwas passiert, das alles für ihn verändert. Bryant und sein Kollege zielen auf ein Haus, in dem sich eine „Zielperson“ befinden soll. Sie schießen. Ein Kind, das draußen spielt, will vor der Druckwelle davonlaufen und rennt ins Haus. Die Rakete trifft. Bryant reicht seine Kündigung ein.

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Der Drohnenkrieg der USA begann nach dem 11. September 2001. Der damalige Präsident George W. Bush verantwortete die ersten Opfer im Jahr 2002: Im Jemen wurden auf diese Weise mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder umgebracht.   Der auf Bush folgende Präsident Barack Obama rückte die „gezielte Tötung“ durch unbemannte Flugobjekte ins Zentrum seiner Sicherheitspolitik und erlaubte schließlich  sogenannte „signature strikes“, bei denen auch Personen, die nicht namentlich bekannt waren, getötet werden dürfen, wenn sie verdächtig erscheinen und sich wie Terroristen verhalten. Seine Regierung bezeichnet den Einsatz von unbemannten Drohnen als „präzise“ und „schonend“. Doch die „Zielperson“ wird häufig erst nach mehreren Angriffen getroffen. Und das Töten von Zivilisten wird billigend in Kauf genommen. Offizielle Statistiken über Drohnentote gibt die US-Regierung nicht heraus. Das Bureau of Investigative Journalism wertet regelmäßig Zeitungsberichte und andere Quellen aus, um die Zahl der Opfer zu ermitteln. Die Angaben sind schwer zu überprüfen. Bis heute sind demnach bei Drohnenangriffen in Pakistan, im Jemen, in Somalia und Afghanistan möglicherweise 5600 Menschen umgekommen, davon rund 1200 Zivilisten.

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Bryant leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat starke Schuldgefühle, zum einen wegen seiner „Sünden gegen die Menschlichkeit“, wie er sagt, zum anderen, weil er sein Wort gebrochen und die Armee verlassen hat. Bevor er in den Container gepfercht wurde, hatte er viel Sport gemacht. Um wieder zu sich zu finden, fängt er damit wieder an. Er läuft täglich zehn Meilen durch den Wald vor seinem Haus, beginnt, sich gesund zu ernähren. Er ist enttäuscht von der US-Armee und von der Regierung, nennt sie „Feiglinge und Idioten“. Wenn er an seine Vorgesetzten denkt, wird er heute noch wütend. „Ich habe immer hart für sie gearbeitet. Als ich dann ihre Hilfe brauchte, haben sie mich einfach fallen gelassen.“ Er ist ohne Arbeit und ohne Unterstützung der Veteranenorganisationen. Wenigstens jetzt will er endlich das Richtige tun. Und so fängt er eineinhalb Jahre nach seiner Kündigung an, über seine Zeit bei der Luftwaffe zu sprechen. Er sieht es als seine Verpflichtung an,  Journalisten und Menschenrechtsvertretern vom dreckigen Drohnenkrieg der USA zu berichten.

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Seine Familie versteht nicht, was er tut. Sie sind tief gläubige Christen, die den Islam als natürlichen Feind sehen. Nur mit seiner Mutter hält er noch Kontakt. Aber weil er Drohungen von ehemaligen Kollegen erhält, trifft er sich nicht mit ihr. Er will sie nicht in Gefahr bringen. Einer drohte ihm über Facebook, wenn er jemals in ein Gebiet reisen sollte, über das die US-Armee Drohnen fliegen lasse, dann würde er ihn ohne nachzudenken abknallen. So lebt er alleine und zurückgezogen in den Wäldern Montanas. „Nur ich und mein Hund.“ Angst hat er nicht, aber er ist allein. Er nutzt die Zeit, um viel über asiatische Heilkunst und Psychologie zu lesen. Er will anderen Kriegsveteranen helfen, sie heilen. Die Auszeit tut ihm gut, seit Februar dieses Jahres schläft er wieder besser.

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Am 15. Oktober sagte er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag aus. Fünf Stunden lang wurde er in die Mangel genommen. Den Abgeordneten ging es vor allem um eine Frage: Welche Rolle spielt der US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz im US-Drohnenkrieg? Wie viel weiß die Bundesregierung? Bryant wiederholte, was er gegenüber Medien bereits dargelegt hatte: Alle Daten laufen über Ramstein. „Jedes einzelne bisschen an Dateninformation, das zwischen Flugzeug und Mannschaft übertragen wurde.“ In Ramstein kann das Satellitensignal aus Afghanistan und Pakistan besser empfangen werden, die Bilder werden über Glasfaser in die USA übertragen. Dort sitzen die Piloten am Bildschirm und lenken die Drohnen in den Ländern, in denen die USA Terroristen vermuten. Bryant erzählt, dass er sich täglich telefonisch in Ramstein melden musste, um in das interne System eingeloggt zu werden. Er berichtet auch, wie Handydaten ausgewertet werden, um Zielpersonen zu identifizieren. Das hatten Journalisten bereits im vergangenen Jahr mit seiner Hilfe enthüllt. Und festgestellt, dass deutsche Behörden Handynummern an die USA weitergeben, mit denen dann möglicherweise Zielpersonen ermittelt werden. Die Bundesregierung will von nichts wissen.

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Es sind anstrengende fünf Stunden. Als Folge des Jetlag streift er die halbe Nacht alleine durch Berlin. „Ich war richtig erschöpft, müde. Da sind einige Emotionen hochgekommen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, endlich am Ende angekommen zu sein. Ich habe alles gesagt, was ich wusste. Jetzt liegt es an ihnen, zu handeln. Ich bin lediglich der Bote.“

Johanna Treblin / Erschienen im Neuen Deutschland

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