In Deutschland werden 15 Prozent der Unternehmensumsätze mit Produkten erzielt, die in den letzten drei Jahren auf den Markt gekommen sind. Die meisten dieser Produkte stammen aus der Informations- und Kommunikationstechnologie. In anderen Ländern sind diese Prozentsätze sogar höher. Eine Folge ist eine explosionsartige digitale Evolution des Internets und der Industrie.
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Mitte September in Bielefeld: Auf der großen Bühne der „itelligence World“-Konferenz gab der Wirtschaftsforscher Hans Werner Sinn eine Vorstellung davon, wie er als Volkswirt die IT-Industrie wahrnimmt. Bei der Veranstaltung sprach ich mit Professor Sinn über dessen Thesen. Sinn führte aus, dass im Mittelpunkt seiner Überlegungen die Innovationen stünden, die die gesamte Wirtschaft vorantreiben. Ein Maßstab hierfür seien die Patente. „Deutschland ist das Land der Tüftler und Erfinder“, führte Sinn aus. „Deshalb ist Deutschland bei der Zahl der angemeldeten Patente in Europa führend und weltweit die Nummer drei.“ Die aber noch viel interessantere Nachricht war, dass es besonders viele Patentanmeldungen im IT-Bereich gäbe. „Auf der Top-Ten-Liste des europäischen Patentamtes stehen neun Elektronikunternehmen“, erklärte Sinn.
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Er berichtete mir von einer Revolution, die dazu führe, dass im 21 Jahrhundert in kürzester Zeit neue Produktionszweige und ganze Industrien entstanden seien, an die vorher niemand gedacht habe. Internet, Internet-Publikationen, Online-Shopping seien riesige Märkte, die erst in den letzten Jahren zu ihrer heutigen Größe gewachsen seien.
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Und es scheine in der Logik der IT-Industrie zu liegen, dass Unternehmen aus dem Nichts auftauchten und in relativ kurzer Zeit eine gigantische Marktkapitalisierung erreichten. „Denken sie an Apple. Dieses eine Unternehmen ist so viel Wert, wie Spanien in einem Jahr an Sozialprodukt erzeugt“, so Sinn. „Alle Spanier müssten ein Jahr lang arbeiten und alles sparen und erst dann könnten sie Apple kaufen.“
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Sorge bereite ihm allerdings, dass die alte Wirtschaft nur unzureichend auf diese neuen Herausforderungen reagiere. Er appellierte: „Unternehmen sollten Kooperationen mit Forschungseinrichtungen anstreben, Internet-Labs aufbauen, mit Startups sprechen oder am besten gleich selber ein eigenes Startup gründen.“ Die Welt ändere sich so schnell. „Wir werden alle untergehen, wenn wir uns nicht kümmern.“
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Die Veränderungen stehen erst ganz am Anfang. Beeindruckend fand ich seinen Vergleich des Internets mit der Evolution: Das Internet sei für die industrielle Entwicklung „ungefähr“ dasselbe, wie die Entwicklung der menschlichen Sprache für die biologische Evolution. Damals sei es plötzlich möglich gewesen, dass Gehirne sich miteinander verbänden, Wissen austauschten und von einem Gehirn auf das andere übertrügen. Was für ein Umbruch! Erst die menschliche Sprache und die Evolution haben uns die Welt gebracht, in der wir heute leben. Analog dazu können wir das Internet betrachten – es erlaubt den Computern miteinander zu ‚sprechen‘ und ihr Wissen zu übertragen und endlos zu kopieren.

Cloud-Computing Rechenzentrum der T-Systems (Quelle: Deutsche Telekom)
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„Denken sie an das selbstlernende Auto“, erklärte Sinn „Wenn ein Auto einen Unfall hat, erfahren alle Autos, was schiefgelaufen ist und sie alle lernen in derselben Sekunde, wie sie in Zukunft diesen Fehler vermeiden.“
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Verglichen mit der menschlichen Kommunikation tauschen die Computer unvorstellbar viele Daten untereinander aus. 0,2 Exabyte entsprechen allen Publikationen und Drucksachen, die jemals publiziert wurden. Alle Wörter, die alle Menschen jemals gesprochen zählten laut Sinn rund fünf Exabyte – „verglichen dazu hatte der Internet-Datenverkehr laut Schätzungen alleine im Jahr 2015 ein Volumen von 960 Exabyte“.
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Wir sollten uns alle fragen, welche kulturelle Evolution dieser Internet-Umbruch und die Evolution in der Industrie nach sich zieht. Erst dann können wir die Welt verstehen, in der wir uns mit Höchstgeschwindigkeit immer weiter voran bewegen. Denn wie gesagt, das hier ist erst der Anfang. Und wir alle haben die Aufgabe, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Silvia Dicke / veröffentlicht 10.11.2016 auf dem itelligence-Blog