
In der Goltzstraße in Berlin Schöneberg haben Künstler und Musiker an den Filmen, Bildern und Geräuschen und Songs gearbeitet, die seit Jahrzehnten für diese Stadt stehen. Im Cafe M hatte das Berliner Startup Re2you Ende letzten Jahres eine kleine Repräsentanz eingerichtet. Die Büros in der Goebenstraße wurden gerade renoviert. Deshalb war ich hier mit Ghazaleh Koohestanian und Stephan Plank verabredet. Gemeinsam gründeten sie im Jahr 2011 in Schöneberg ihr gemeinsames Unternehmen Re2you. Beide sind tief in der Berliner Medien- und Musikszene verwurzelt. Koohestanian hat vor etwa fünf Jahren Google verlassen, Plank war damals Manager von Nina Hagen. Aber schon lange vorher ist er in die Computerindustrie eingestiegen – sein erstes Computerspiel hatte er mit 14 Jahren für Lukas Arts programmiert.
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„Die Musikbranche war ein Intelligenzija-Magnet. Solange die Branche funktioniert hat, hat sie viele Leute angezogen. Viele dieser hellen und wachen Leute können heute von der Musik nicht leben, deshalb zieht die Startup-Szene sie an“, sagt Plank. Für alle diejenigen, die die Welt gestalten wollen, sei ein Startup im Internet eine Möglichkeit viele Ideen zu verwirklichen. Koohestanian und Plank kennen sich seit 14 Jahren. Sie sind offensichtlich ein Team. Sie spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Wenn Plank nachdenkt, übernimmt Koohestanian das Gespräch. Stockt sie, kann Plank den Gedanken nahtlos fortsetzen.
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„Das Internet ist sehr restriktiv geworden“, erklärt Koohestanian. „Es gibt alle diese Monopolisten, die Barrieren bauen, um anderen Unternehmen den Einstieg ins Netz zu erschweren. Wir sprechen mit den großen Autoherstellern, die genau diese Probleme haben. Google und Apple lassen ihnen keine Wahl – die Autos können lediglich die Steckdose für die Smartphones der Fahrer sein. Google und Apple nehmen sich die Daten der Autofahrer; aber sie teilen diese Daten nicht.“Koohestanian wird ernst. „Die OEMs wollen natürlich viel lieber selbst das Smart Device liefern. Und dann kommt die nächste Frage: Sie müssen sich zwischen Android und iOS entscheiden.“
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Genau an dieser Stelle haben die Gründer von Re2you ihre Marktlücke gefunden. Plank und Koohestanian sind die Erfinder des Smartphones in der Cloud. Gleichgültig mit welchem Device ein User online geht und auf welchem Betriebssystem er in dieser Cloud eine App startet – die Re2you-Plattform führt die Anwendung aus und schickt die Daten auf das Gerät. Koohestanian ist davon überzeugt, dass ihr Unternehmen das erste ist, dass einen solchen Cloud-Service anbietet; Re2you hat mehrere Anwaltskanzleien mit dem Schutz der Patentrechte beauftragt.
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„In Zukunft sind die OEMs und auch ihre Kunden nicht länger von Android und Apple abhängig“, erklärt Plank. Und Koohestanian ergänzt: „Vor vier Jahren hat niemand verstanden, warum es Sinn macht, Ecosysteme, Betriebssysteme und Plattformen aufzubrechen und alles zum User hin zu emulieren. Wir waren die ersten und haben gegen alle Widerstände weitergemacht.“ Ihre Augen funkeln. „Wir öffnen mit dieser Technologie im Internet einen neuen Raum für die Automobilindustrie. Hier können die OEMs ihre Kunden mit Anwendungen und Informationen versorgen, ohne von Apple oder Google abhängig zu sein.“ Die Gründer hatten mit ihrem eigenem Geld Re2you gestartet und bei Business Angels weiteres Kapital eingesammelt. Im Moment läuft die vierte Finanzierungsrunde. Unternehmen und Technologie seien mit rund 10 Millionen Euro bewertet.
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„Das Auto ist aus unserer Perspektive ein Device“, Plank nimmt den Gedanken auf. Koohestanian nickt. „Und jetzt kommen wir zu einem sehr spannenden Punkt“, Plank lehnt sich nach vorne. „Wenn ein OEM beispielsweise iOS im Auto installiert, erlaubt er Apple, die Daten des Autos abzugreifen.“ Und das sei eine schwierige Entscheidung. Denn wenn der Kunde ein Mobiltelefon nutze sei klar, dass die Daten in Amerika gespeichert werden. „Wenn aber ein OEM ein Auto in Deutschland hergestellt und verkauft hat, muss sich dieser Hersteller an deutsche Gesetze halten. Wenn er sich nicht daran hält, geht er über sehr dünnes Eis.“
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Re2you gebe den OEMs eine Technologie, die es ihnen erlaube, die Daten zu filtern und an die Policy ihres eigenen Unternehmens anzupassen. Rechtlich sei der Hersteller dann auf der sicheren Seite. Und auch strategisch mache der Einsatz von Re2you Sinn. Denn im Moment greifen sich Apple und Google die Daten der Kunden umsonst und direkt aus den Autos ab – und können mit diesem Wissen Konzepte für ihre eigenen Fahrzeuge entwickeln. Und das sei ganz sicher nicht im Interesse der Automobilindustrie. „Wir geben jedem OEM seinen eigenen Raum. Hier kann das Unternehmen seine eigenen Regeln etablieren und die eigene Policy umsetzen. Niemand braucht mehr die Vorgaben von Apple oder Google zu übernehmen. Denn jeder OEM hat seinen eigenen Kodex, seine eigene Einschätzung der Rechtslage, sein eigenes Look-and-Feel im Web.“
Chrsitian Raum / veröffentlicht im November 2015 im Magazin CAR IT