Plug Surfing verbindet Automotive und Stromerzeuger

Um den Durchbruch zu schaffen, benötigen die Elektrofahrzeuge eine intellektuelle Infrastruktur, in der Konzepte, Technologien, Innovationen und Vertriebskonzepte diskutiert und getestet werden. Hierfür baut Deutschland ein Netzwerk aus Forschern, High-Tech-Herstellern, Strom- und Automobil-Experten sowie hoch spezialisierten Start-Ups auf. Ein Hotspot innerhalb dieser intellektuellen Infrastruktur ist der EUREF-Campus auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerkes in Schöneberg. Hier arbeitet das Start-Up Plug Surfing an einer Billing Maschine in der Cloud – CEO Jacob von Zonneveld nennt sein Unternehmen „den Kleber“ zwischen der Welt der Automobilhersteller und der Welt der Stromerzeuger.

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Jacob van Zonneveld, Plug Surfing

 

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Ein Hotspot der intellektuellen Infrastruktur für die Elektromobilität ist der EUREF-Campus auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerkes in Schöneberg. Das markanteste Gebäude auf dem Gelände ist bundesweit bekannt – im Schöneberger Gasometer empfing Günter Jauch seine Gäste zum sonntäglichen Talk im Ersten. Weniger bekannt ist, dass das Gelände um den Gasometer als wichtiger Berliner Impulsgeber für Nachhaltigkeit und Energiewende gilt. Im Zentrum stehen Gebäude der Technischen Universität – darum herum haben sich Firmen aus dem Bereich Energiemanagement angesiedelt. Von Giganten wie Cisco, der Deutschen Bahn oder Schneider Electronics bis zu Start-Ups, die hier auf dem Gelände in einer geschützten Atmosphäre zur Marktreife wachsen wollen.

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Das Schöneberger Gasometer ist in Deutschland relativ bekannt.
Das Schöneberger Gasometer ist in Deutschland relativ bekannt.

Elektroautos und Scooter surren um die Ecken des 55.000 Quadratmeter großen Geländes. Auf den freien Flächen stehen die unterschiedlichsten Modelle von Ladestationen und Elektroautos – und in den Gebäuden sind die Unternehmen ansässig, die die dazu gehörige Infrastruktur entwickeln, verbessern und am Laufen halten. Der gesamte Campus verbreitet einen postindustriellen Charme – mit einer bunten Mischung aus rotem Berliner Backstein, aus grauem siebziger Jahre Beton und modernen Glas-, Kunststoff- und Stahl-Fassaden. In der zweiten Etage eines grauen Zweckbaus teilen sich acht Mitarbeiter des Start-Ups Plug Surfing zwei Büros und einen Besprechungsraum. In dem Gebäude haben sich Start-Ups angesiedelt, die Atmosphäre ist geschäftig und pragmatisch. Während die Start-Up-Szene in Berlins Mitte auf eine sehr stylische Arbeitsumgebung Wert legen, sind hier in Schöneberg offensichtlich eher Handwerker und Pragmatiker Zuhause.

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Beim Durchbruch für die Elektromobilität gibt es drei hemmende Faktoren – die fehlende Modellvielfalt, die umstrittene Wirtschaftlichkeit der Fahrzeuge sowie deren geringe Reichweite. Plug Surfing kann die Reichweite der Autos nicht erhöhen. Das Ziel des Unternehmens ist es, den Kunden die Möglichkeit zu geben, sicher und schnell eine Ladestation zu finden. Der nächste Schritt ist das Laden der Batterien und die Abrechnung des gekauften Stroms mit dem lokalen Anbieter. Das Ergebnis: Heute können Plug Surfing Kunden zwischen Amsterdam und Villach Strom tanken.

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Jacob van Zonneveld, CEO und Gründer von Plug Surfing ist von der Zukunft der Elektrofahrzeuge begeistert. „Elektroenergie ist sauber. Wenn wir sie nutzen, werden unsere Städte sauberer, gesünder und leiser. Das ist die große Chance, die diese Technologie bietet.“ Er lehnt sich zurück und deutet aus dem Fenster – „Stellen Sie sich Berlin vor – ohne Schmutz, ohne Lärm und ohne Abgase.“ Allerdings passiere im Moment genau das Gegenteil. „Mit dem Verbrennen von Benzin und Diesel zerstören wir unsere eigene Lebenswelt.“ Wäre Berlin tatsächlich Berlin, wäre eine Stadt eine Stadt ohne Lärm und Autoverkehr? Aus van Zonnevelds Sicht sei Berlin dann sogar eine bessere Stadt. Voraussetzung für diese bessere Stadt sei Elektromobilität und Geduld. „Es ist ein Fakt, dass in die Batterie Strom geladen werden muss, das ist das Business-Modell unseres Unternehmens.“ Der Dreißigjährige beugt sich nach vorne: „Die großen Energieanbieter sterben langsam, die Automobilindustrie hat immer nur auf Benzin und Diesel gewettet. Jetzt ist es höchste Zeit, dass OEMs und Stromindustrie miteinander reden.“

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20160118_144227Denn beide Seiten verfolgten das gleiche Ziel. Ein transparentes Angebot, die gleichmäßige und flächendeckende Versorgung sowie die korrekte Abrechnung des geladenen Stroms. Plug Surfing hat aus diesen Parametern Geschäftsprozesse modelliert und bietet sie über die Cloud an: Eine Billing-Maschine für die Abrechnung des Strome. Außerdem eine Navigations-Software, die die Fahrer an die Elektrosäulen leitet. Und Drittens eine Lösung für die Überwachung des Ladeprozesses. Die Kunden erhalten eine App für das Smartphone, dahinter verbirgt sich eine vollständig automatisierte Infrastruktur. „Plug Surfing ist jetzt in sechs Ländern aktiv, wir haben mehr als 20.000 Ladepunkte von mehr als 30 verschiedenen Stromanbietern angebunden.“

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Alles begann im Jahr 2012. Van Zonneveld hatte sein Studium an der Universität Potsdam beendet und zwei Ziele vor Augen – er wollte sein eigenes Unternehmen gründen und „etwas gegen den Klimawandel machen“. So wechselte er aus der Universität an den Schreibtisch seines eigenen Start-Ups. Der studierte Historiker gründete gemeinsam mit Adam Woolway das Unternehmen Plug Surfing. Adam Woolway ist heute Managing Director des Start-Ups. „Ich habe Geschichte studiert – und in der Geschichte geht es immer darum, wie wir die Gesellschaft organisieren.“ Plug Surfing sei sein Beitrag für eine bessere Gesellschaft. „Heute sehen die Menschen sehr deutlich, dass sich etwas ändern muss“, führt der Niederländer aus. Das sei nicht immer so gewesen. „Als ich vor drei Jahren mit meinen Freunden über meine Ideen und über Plug Surfing gesprochen habe, haben alle gelacht oder mit dem Kopf geschüttelt.“

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Inzwischen habe Plug Surfing Investoren hinter sich und das Unternehmen wachse. „Die Zukunft sind Ladestationen, Elektroautos und Strom; denn in der Zukunft gibt es keine Mobilität ohne den Handel und die Versorgung mit Strom.“ Die Grundlage hierfür sei die Abrechnungsmaschine in der Cloud. „Der gesamte Stromhandel muss automatisiert sein. Elektromobilität mit manuellen Prozessen wie beim Benzintanken ist überhaupt nicht denkbar“, ist van Zonneveld überzeugt. Plug Surfing habe mit Stromversorgern aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden Verträge abgeschlossen. In diesen Ländern würden die Kunden immer eine Ladestation finden, an der sie die Fahrzeuge laden könnten. In den nächsten Monaten sollten die Schweiz, Belgien und Luxemburg flächendeckend hinzukommen; „danach steht Frankreich auf den Plan“.

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Der EUREF Campus in Berlin Schöneberg
Der EUREF Campus in Berlin Schöneberg

Der Markt für Elektromobilität wächst sicher nicht mit der Geschwindigkeit, die sich die Experten erhoffen. In Deutschland wurden laut Kraftfahrt Bundesamt 12.363 Elektro-PKW angemeldet, die Zahl steige stetig. Parallel dazu wächst die Zahl der Fahrer, die mit der Plug Surfing App ihre Fahrten organisieren – van Zonneveld unterstreicht: „Plug Surfing verdreifacht von Jahr zu Jahr seine Kundenzahl.“ Die interessantesten Kunden sind sicher gewerbliche Flotten. Diese Fahrzeuge fahren am Tag selten mehr als die 200 Kilometer, die mit einer Ladung erreicht werden können. Sie sind typischerweise auf festen Routen unterwegs – und sie repräsentieren 30 Prozent des Neuwagenmarktes. Van Zonneveld zählt heute 2500 Plug Surfing-Kunden – dazu rechnet er Flotten, Taxis und private Fahrer. Das Marktpotential sieht van Zonneveld bei den von der Bundesregierung angepeilten eine Million Elektrofahrzeugen im Jahr 2020. „Sicher werden nicht alle Fahrer unsere App oder unsere Infrastruktur nutzen – aber das Unternehmen, das in den nächsten vier Jahren die größte Abdeckung über Europa erreicht, wird den größten Teil dieser Fahrzeuge mit Strom versorgen.“ Dazu muss Plug Surfing eine wichtige Grenze überspringen – bislang gibt es die App des Unternehmens nur für das Smartphone. Der nächste große Schritt ist in die Systeme der Fahrzeuge. Der Gründer unterstreicht: „Aus unserer Sicht ist ein Auto wie ein Smartphone, es ist unser zukünftiges Device.“

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Doch wie offen sind die OEMs für die Zusammenarbeit mit Start-Ups. Würden sie nicht lieber eine eigene Software in ihre Fahrzeuge implementieren? Van Zonneveld zuckt mit den Schultern. „Die OEM haben versucht, solche Systeme aufzubauen, allerdings sind sie gescheitert.“ Das Problem dieser riesigen Unternehmen sei, dass sie nicht auf kleine Herausforderungen fokussieren könnten. „Wir dagegen sind hochspezialisiert, jeder im Team weiß, was er machen muss. Wir haben einen Flow.“

Christian Raum / veröffentlicht im Magazin CAR IT, Februar 2016

 

 

 

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