Diskussionen und Streit um die richtige Digitalisierung bringen in den Unternehmen die Abteilungen gegeneinander auf. Um mit der Konkurrenz auf Augenhöhe zu bleiben, wird das Management in den nächsten Monaten wichtige Weichen für die strategische Neuausrichtung und die technologische Neupositionierung stellen. Die Unternehmensführung muss den Einfluss von – hauptsächlich – vier Spielern neu definieren.

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Intern streiten sich die Fachbereiche und die IT-Abteilung um die Führung auf dem Weg zur Digitalisierung. Von externer Seite erhalten beide Seiten Unterstützung der IT-Dienstleister und Cloud-Anbieter. Die IT-Abteilungen fürchten um ihren Einfluss, wenn die Fachbereiche immer mehr Cloud-Leistungen extern einkaufen. Die Fachbereiche argumentieren dagegen, dass die IT-Abteilungen bei der Umsetzung und bei der Inbetriebnahme von IT-Anwendungen weit hinter den Cloud-Anbietern hinterherhinken. Deshalb wenden sich die IT-Abteilungen an das Management und verlangen eine Entscheidung für eine einheitliche Infrastruktur und gegen externe IT-Leistungen. Und für das Management gibt es nur einen Ausweg aus der unübersichtlichen Situation: Alle Abteilungen sollen an einem Tisch eine gemeinsame IT-Ausrichtung und verbindliche Standards definieren. Doch auch dann bleibt für das Management immer noch die entscheidende Frage offen – wem kann die Unternehmensführung die Verantwortung für die Digitalisierung übertragen. Und scheitert die Digitalisierung womöglich am internen Machtkampf im Unternehmen?
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„Ich würde es nicht als Machtfrage titulieren“, sagt Gerhard Göttert, Vorstand der DSAG für den Bereich Anwendungsportfolio und zuständig für Fachbereichs-Programme. „Die Geschäftsmodelle, die einen digitalen Charakter haben, sind sehr kundennah ausgerichtet. Es ist sicherlich so, dass diejenigen eine gute Position im Unternehmen erlangen können, die diese Modelle mittragen.“ Denn die grundlegende Idee der Digitalisierung sei, dass die Verantwortlichen ihr eigenes Unternehmen viel näher zum Kunden bringen. Deshalb gewinnen ihre Aktivitäten für das Management sehr stark an Bedeutung. „Tatsächlich steht eines vollkommen im Fokus aller Aktivitäten, die mit dem Label ‚Digitalisierung‘ verbunden sind: Die Ausrichtung auf den Kunden. Auf die Agilität des Kunden, auf dessen Individualität, auf die Volatilität seiner Entscheidungen“, erklärt Göttert weiter. „Im Kontext der Kundenbeziehung sind Big Data und Data Analytics eine grundlegende Voraussetzung, um Kunden besser kennenzulernen um deren Wünsche besser, schneller und effizienter zu erfüllen. Das ist ein wichtiges Element, wenn Fachabteilungen, IT-Abteilungen und das Management über Geschäftsmodelle reden, die auf digitaler Transformation und auf Internet of Things und Industrie 4.0 beruhen.“
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Und natürlich gewinnen die Personen erheblich an Gewicht, die die verantwortlichen Positionen und Rollen besetzen können mit denen sie die Digitalisierung innerhalb eines Unternehmens vorantreiben. Denn sie tragen für den Umbau des Unternehmens die Verantwortung. „Das Unternehmen wird von Grund auf neu ausgerichtet“, sagt Göttert. „Ich denke, dass viele Unternehmen in den nächsten Jahren immer mehr zu Technologie- und IT-Unternehmen werden; die dann im Anhang das Kerngeschäft betreiben.“
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Verschiedene Studien hinsichtlich des Einflusses der Fachbereiche auf die IT zeigen, dass bezüglich der Umsetzung von IT-Lösungen im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung der Unternehmen eine Dreiteilung existiert: Es gibt ein Drittel der Unternehmen, die sagen: „Die Fachbereiche gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Fachbereiche möchten bei der Digitalisierung die führende Rolle einnehmen. Sie bauen sich eigene Kompetenzen auf und versuchen das Heft in der Hand zu halten.“ Aus Perspektive der Fachbereich sind bei der Digitalisierung vor allem Produktionsverbesserungen, Vertriebsstrategien und Geschäftsprozesse entscheidend. Bei einem zweiten Drittel ist die IT-Abteilung der Bereich, der die Führung übernimmt. Hier hat der IT-Bereich erkannt, dass es eine Chance gibt, sich selber neu zu positionieren, um so eine stärkere Gewichtung innerhalb des Unternehmens zu bekommen. Die IT-Mitarbeiter treiben das Unternehmen vor allem aus technologischer Sicht weiter. Es gibt darüber hinaus das eine Drittel von Unternehmen, die wissen, dass die Digitalisierung kommen wird. Aber sie haben noch keine Orientierung, wie sie damit umgehen sollen.
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Doch mit der Digitalisierung verschieben sich nicht nur die Gewichte innerhalb der Unternehmen. Auch die Partner, mit denen die IT-Abteilungen und Fachbereiche lange zusammenarbeiten, stellen sich neu auf. Die IT-Hersteller und Systemhäuser müssen sich bei der Ansprache und bei der Beratung ihrer Kunden neu positionieren. Aus den IT-Lieferanten werden Berater und Vermittler zwischen Fachbereich und IT-Abteilung.
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„Im Vergleich zu früher sind in den Fachabteilungen die IT-Skills besser ausgeprägt. Dies ist ein Teil des beginnenden Trendwechsels, den wir seit einiger Zeit beobachten können. Es gibt eine verbesserte Transparenz und Vorstellung in den Fachabteilungen zur IT, vor allem im Bereich der Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Sie sind viel selbständiger und können neue Technologien, Produkte und Lösungen besser beurteilen“, sagt Carsten Lange, Itelligence AG, Geschäftsleitung Vertrieb. „Aber sowohl bei den Bits und Bytes als auch bei der großen IT-Strategie des Unternehmens – da kommen die Fachbereiche nicht mehr mit. Und ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist. Der CIO hat das Mandat, und er hat den Auftrag eine IT-Landschaft zu betreiben, die möglichst prozessual standardisiert und effizient ist, wenig Schnittstellen benötigt und laufstabil ist. Am Ende hat er die Verantwortung, das Unternehmen mit digitalisierten Prozessen abzubilden und zu unterstützen.“
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Wenn die IT-Abteilung mit den Fachbereichen und Prozess-Spezialisten über die Digitalisierung redet, wird Reibung entstehen. Die IT möchte eine klare, zentrale Vereinheitlichung und Harmonisierung der Systeme, die auch in einer technologischen Harmonisierung mündet. Dagegen wollen die Fachbereiche zumeist und in erster Linie ihre individuellen Bedürfnisse realisiert sehen. „Unsere neue Rolle ist zu vermitteln, zu erklären und zu moderieren“, ist Lange überzeugt.
Christian Raum/veröffentlicht in Automotive IT 3/4 2016