Nach der Entscheidung in Brüssel über die eCall-Gesetzgebung stehen jetzt der öffentliche – sogenannte EU-eCall – und der eCall von privaten Anbietern als konkurrierende Rettungssysteme nebeneinander. Und die Chancen stehen gut, dass der private eCall das Rennen zur Rettung von Verunglückten und der liegengebliebenen Fahrzeuge gewinnt. Denn schon heute haben die privaten Anbieter einen komfortablen Vorsprung von drei bis vier Jahren. Und wenn der öffentliche eCall wie geplant im Jahr 2018 in Betrieb genommen wird, sind wesentliche Teile seiner Infrastruktur technisch und konzeptionell bereits veraltet.

In den kommenden drei Jahren bauen dagegen die privaten Anbieter ihre Systeme aus, erweitern die Funktionalitäten und versprechen ihren Kunden, die Infrastruktur immer auf dem aktuellen technischen Stand zu halten. Immer in dem Wissen, dass das Konkurrenzprodukt als ein politisches Konstrukt starr und unflexibel designt ist und diesen Makel auch für die nächsten Jahre nicht verlieren wird. Dies bietet den Autoherstellern die Sicherheit, eine bislang von allen Seiten anerkannte Grenze zu überschreiten: In Zukunft kümmern sie sich um die Pannenhilfe und den Werkstattruf. Darüber hinaus haben sie jetzt die Rettung der Verunglückten und den Abtransport der Unfallwagen in der eigenen Hand. Dafür winken ihnen Marktanteile im After-Sales-Markt, die sie sich bislang mit Versicherungen, freien Werkstätten oder Pannendiensten teilen. Der Wert des After-Sales-Geschäftes in Europa beträgt laut Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e. V. rund 170 Milliarden Euro und die eCall-Box in den Autos verspricht einen nahezu unbeschränkten Zugang zu diesem Markt. Denn die eCall-Box bringt eine neue Qualität in die Autos. Die Agenten in den Notrufzentralen sprechen nach einem Unfall nicht nur im Auftrag der Autohersteller mit deren Kunden – sie kommunizieren auch direkt mit dem Unfallwagen.
***
„Die Sprache des Fahrers wird anhand der Head Unit erkannt und die Agenten in unserer Notrufzentrale sprechen ihn an Wir arbeiten mit einem sogenannten ‚Zwei Agenten System‘. Ein Beispiel: Ein Fahrer aus Deutschland verunglückt in Rom und spricht kaum Italienisch. Ein Agent spricht mit dem Fahrer nun in dessen Muttersprache, während der zweite mit der nächstgelegenen Rettungsstelle auf Italienisch telefoniert“, sagt Stefan Gross, Leiter des Bereiches Mobility Services bei Bosch Service Solutions. „Beide Agenten sind über Chat untereinander in Kontakt, gleichgültig welcher Fahrer in welchem Land unterwegs ist, können wir die Rettung immer in den richtigen Sprachen einleiten.“
***
Bosch Mobility Services bietet den E-Call sowie andere Telematik Dienste als White Label Produkt an. Die Autokonzerne verkaufen diese Dienstleistungen – außer dem eCall zum Beispiel auch Concierge Service, die Ortung gestohlener Fahrzeuge oder Pannenruf – unter ihrer eigenen Marke als Komponente in den Fahrzeugen.
„Wir beherrschen die gesamte Wertschöpfungskette von der eCall-Box über den Datenempfang, dem Filtern und Weiterleiten der Anrufe bis zur Verständigung der Rettungsleitstelle“, bekräftigt Gross. Die Kunden könnten sich einzelne Leistungen aus dem Gesamtpakt heraussuchen oder die gesamte Wertschöpfungskette in Anspruch nehmen. Inzwischen seien in mehr als mehr als 25 Ländern rund 1,5 Millionen Fahrzeuge mit dem Bosch eCall Service unterwegs. Die Notrufzentralen sind über ein weltweites Daten- und Kommunikationsnetz der British Telecom miteinander verbunden.
***
Im Gespräch bestätigen Experten, dass die Rettung über einen eCall aus dem Fahrzeug „viel komplexer ist, als anfangs vielleicht angenommen“. Neben der Zweisprachigkeit sei ein weiteres zentrales Element die Datenbank, in der sämtliche Rettungsstellen in allen betreuten Ländern eingetragen sind. Denn eine Rettungsleitstelle etwa in München sei nicht einfach aus einem Callcenter in Stuttgart über den 112-Ruf zu erreichen. Ein Anruf über die 112 wird immer zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle verbunden – der Anruf aus einem eCall-Callcenter müsse über die reguläre Festnetznummer laufen. Und diese Nummern wären weder in Telefonbüchern verzeichnet, noch könnten sie über die Auskunft abgefragt werden. „In unserer Datenbank sind alle Rettungsleitstellen eingetragen, über unsere eigenen Algorithmen fragen unsere Agenten sie ab. Das ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale – wir finden bei einem Unfall immer die zuständige Rettungsleitstelle“, unterstreicht Gross. „Die Agenten in unseren Notrufzentralen sind 24 Stunden und 365 Tage im Jahr zu erreichen – und unsere Agenten verständigen rund um den Globus die jeweils richtige Rettungsleitstelle über einen Unfall.“
Christian Raum / veröffentlicht Ende Juni 2015 im Magazin „CAR IT§